Genre ist kein schmutziges Wort

Ein Beitrag von Nicola Alter

Genre

Ich bin schon vielen Fantasy- und Science-Fiction-Autoren begegnet - auch berühmten und beliebten -, die auf die Frage nach ihrer Entscheidung, in diesem Genre zu schreiben, etwa Folgendes sagten:

"Ach, ich schreibe einfach, was ich schreibe, und jemand ordnet es später einem Genre zu, ich denke nicht darüber nach, in welchem Genre ich schreiben will". 

Oft wird zusätzlich impliziert, dass "Genre" ein Schimpfwort ist - ein Unterdrückungsinstrument von Verlagen und Buchhandlungen. Bücher werden durch diesen bösen Begriff "Genre" eingeengt und kategorisiert, und seine Autoren werden in die Schublade "Fantasy-Autoren" oder "Krimi-Autoren" gesteckt.

Ehrlich gesagt, verstehe ich das nicht. Ich liebe das Wort Genre.

Robert Arthur - Glauben Sie an Gespenster?

Buch der Geister & Spukhäuser
In der Sammlung "Das Buch der Geister & Spukhäuser" bei Festa erhältlich.

Es ist nur eine kleine Geschichte in einem großen Buch. „Nichts Besonderes“, könnte man meinen, und gleich zur nächsten weiterziehen. Doch es lohnt sich, hier kurz innezuhalten und genauer hinzusehen. Robert Arthur war ein Schriftsteller, dessen Werke viele gelesen haben, ohne seinen Namen zu kennen. Während seiner Lebenszeit blieb das volle Ausmaß seiner Karriere weitgehend unsichtbar – insbesondere in Deutschland. Dort gab es lange Zeit nur einen schmalen Erzählband: Die Geister, die ich rief, der 1970 im Boje-Verlag erschien und 2024 von Kosmos neu aufgelegt wurde. Erst im März 2025 folgt ein zweiter Band – wohl ein Zeichen dafür, dass die moderne Literatur zunehmend an Reiz verliert und Leser sich mehr und mehr als Schatzgräber vergangener Meisterwerke versuchen.

Mord ohne Motiv in Edgar Allan Poes "Das verräterische Herz"

Das verräterische Herz

Die Geschichte "Das verräterische Herz" wurde erstmals 1843 im Pioneer, einem Bostoner Magazin, veröffentlicht.

Mord ohne Motiv

In dieser Erzählung finden sich alle Elemente der Schauerliteratur auf engstem Raum: das unterschwellige Geheimnis, das unheimliche Gebäude (hier wird ein ganzes Schloss in einen einzigen Raum verwandelt, wir haben das schreckliche Verbrechen und das Oszillieren zwischen dem Übernatürlichen und dem Psychologischen). Auf nur fünf Seiten scheint es, als habe Edgar Allan Poe den Schauerroman des achtzehnten Jahrhunderts zu einer Geschichte von nur wenigen tausend Wörtern verdichtet. Doch was macht diese Geschichte so beunruhigend? Eine genauere Analyse zeigt, dass sich "Das verräterische Herz" auf das Beunruhigendste überhaupt konzentriert: den Mord ohne Motiv.

Der Herzschlag eines Toten

Ein namenloser Erzähler gesteht, dass er einen alten Mann ermordet hat, offensichtlich wegen des "bösen Auges" des alten Mannes, das den Erzähler dazu brachte, ihn zu töten. Dann beschreibt er, wie er sich in das Schlafzimmer des schlafenden alten Mannes geschlichen, ihn erstochen, die Leiche weggeschleift und zerstückelt hat, um sein Verbrechen zu vertuschen. Er unternimmt einige Anstrengungen, um alle Spuren des Mordes zu verwischen - er fängt sogar das Blut seines Opfers in einer Wanne auf, damit nirgendwo Blut verspritzt wird -, dann nimmt er drei der Bodenbretter des Zimmers und versteckt die Leiche seines Opfers darunter. Kaum hat er die Leiche versteckt, klopft es an der Tür: Es ist die Polizei, die von einem Nachbarn gerufen wurde, der in der Nacht einen Schrei gehört hatte. Der Erzähler lässt die Polizisten herein, um das Haus zu durchsuchen, und erzählt ihnen die Lüge, der alte Mann sei auf dem Land. Er bleibt ruhig, während er sie herumführt, bis sie sich in den Raum setzen, unter dem die Leiche des Opfers versteckt ist. Der Erzähler und die Polizisten unterhalten sich, doch nach und nach hört der Erzähler ein Geräusch in seinen Ohren, das immer lauter und eindringlicher wird. Er glaubt, es sei der Herzschlag des Toten, der ihn von jenseits des Grabes aus verspottet. Irgendwann hält er es nicht mehr aus und fordert die Polizei auf, die Dielen herauszureißen, denn der Herzschlag des alten Mannes drängt ihn, sein Verbrechen zu gestehen.

(c) theemptykissofdeath
(c) theemptykissofdeath

Der labile Erzähler

Der Erzähler von "Das verräterische Herz" ist eindeutig labil, wie das Ende der Geschichte zeigt, sein psychischer Zustand ist von Anfang an fragwürdig, wie die ruckartige Syntax seiner Erzählung vermuten lässt:

Geschichte des Kriminalromans

Geschichte des Kriminalromans

Genrebeschreibungen sind selten eine klare Sache, aber nur deshalb kann man darüber diskutieren. Wäre immer alles klar und für jeden ersichtlich, würde ein Lexikoneintrag genügen und die Sache wäre erledigt. Heute widmen wir uns dem wohl beliebtesten literarischen Genre überhaupt. Dem Kriminalroman.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass es niemals eine erschöpfende Aussage über ein Genre geben kann, und so ist auch dies nur ein kleiner Überblick.

Es gibt so viele verschiedene Arten von Kriminalromanen, dass bereits in den 1920er Jahren eine der ersten "Queens of Crime", Dorothy L. Sayers, darüber klagte:

"Es ist unmöglich, den Überblick über all die Krimis zu behalten, die heute produziert werden. Buch um Buch, Zeitschrift um Zeitschrift strömt aus der Presse, vollgestopft mit Morden, Diebstählen, Brandstiftungen, Betrügereien, Verschwörungen, Problemen, Rätseln, Geheimnissen, Nervenkitzel, Verrückten, Gaunern, Giftmischern, Fälschern, Würgern, Polizisten, Spionen, Geheimdienstlern, Detektiven, bis es scheint, als müsse die halbe Welt damit beschäftigt sein, Rätsel zu erfinden, damit die andere Hälfte sie lösen kann."

Dorothy Sayers
Beginnen wir unseren kleinen Rundgang jedoch mit einer grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Rätselgeschichte und Kriminalroman, bevor wir uns einigen historischen Daten zuwenden.

Wenn man sich nicht ausschließlich auf die deutsche Terminologie beschränkt, ist es von vornherein angebracht, die hierzulande gebräuchlichen Gattungsbezeichnungen fast ausnahmslos zu verwerfen. Englisch ist die literarische Leitsprache der Populärliteratur, daran ändern auch länderspezifische Besonderheiten nichts. Ein Beispiel von vielen ist die "Mystery Fiction", also die "Rätselgeschichte", die hierzulande kaum als Begriff verwendet wird. Stattdessen wird der englische Begriff “Mystery” beibehalten und für eine Form der phantastischen Erzählung verwendet, die eigentlich der Weird Fiction nahe steht, während “Mystery Fiction” zur Kriminalliteratur wird. Diese wäre eigentlich Crime Fiction, die sich wiederum von der Mystery Fiction unterscheidet.

Die drei ??? und der Teufelsberg

Teufelsberg cover
Wenn ein Autor eine Figur (oder mehrere Figuren) erfunden hat, die sich dann als dauerhaft herausstellen, kommt es immer wieder zu großen Konflikten, wenn die Fackel übergeben wird, meistens weil der Autor gestorben ist. Oft sind diejenigen, die mit dem Erbe des Werkes betraut werden, nicht in der Lage, gute Entscheidungen für das Franchise zu treffen, weil sie nur das Geld interessiert, das sich mit der Lizenzvergabe machen lässt. Wir kennen das von zahllosen Beispielen, ob nun bei Walt Disneys Imperium, Bob Kanes Batman oder Jerry Siegels Superman. Bei allen späteren Versuchen, eine geliebte Figur aus vergangenen Tagen weiter zu schreiben, dürfen wir nicht mehr den gleichen Standard erwarten, die das Original so erfolgreich gemacht hat. Die Qualitätslücke, die Arthur Conan Doyle mit seinem Sherlock Holmes hinterließ, ist wohl das berühmteste Beweis für diese These, auch wenn Kareem Abdul-Jabbar, John Dickson Carr, Colin Dexter, Mark Gatiss, Anthony Horowitz, Laurie R. King, Steven Moffat und zweifellos einige andere großartige Dinge mit den Bewohnern der Baker Street 221B anzufangen wussten.

Der Umgang mit den drei Detektiven liegt irgendwo in der Mitte dieser Möglichkeiten. Robert Arthur schuf die Serie und schrieb die ersten neun und dann das elfte Buch vor seinem Tod, wobei das zehnte Buch - Der Teufelsberg (1968) - von Dennis Lynds unter dem Pseudonym William Arden verfasst wurde. Arden und Nick West teilten sich die nächsten Bücher, und dann begann Mary Virginia Carey sich die Serie mit Arden zu teilen. Das entspricht, angefangen von Titel 15 - Die flammende Spur (1971) - bis zum letzten (amerikanischen) Titel Der schrullige Millionär (1987) - einer Serie von 28 Büchern, von denen nur drei nicht von diesen beiden geschrieben wurden. Während sich die Serie also nach dem unvermeidlich schnellen Abgang von Arthur offensichtlich auf eine sicherere Basis gestellt hatte, gibt es eindeutig eine Übergangszeit, auf die wir an vorliegendem Punkt der Serie treffen.

125 Jahre Bly Manor

Bly Manor

Dieses Jahr feiert eine der einflussreichsten Geistergeschichten aller Zeiten ihren 125. Geburtstag: Die Drehung der Schraube von Henry James (besser ausgeführt als Spuk in Bly Manor). Die Novelle ist voller Zweideutigkeiten, lauerndem Grauen und psychologischer Bedrohung. Dabei ist die eigentliche Handlung schnell erzählt: Eine junge Frau nimmt die Stelle als Gouvernante in Bly, einem abgelegenen Herrenhaus, an. Die Kinder, um die sie sich kümmern soll, Miles und Flora, sind reizend, und zunächst scheint Bly ein Ort der sonnigen Zuflucht zu sein. Diese Idylle wird jedoch bald zerstört.

Henry James - Spuk in Bly Manor

Das Buch der Geister & Spukhäuser
In der Sammlung "Das Buch der Geister & Spukhäuser" bei Festa erhältlich.

Der etwas unglückliche Titel „Die Drehung der Schraube“ ist wahrscheinlich das umfassendste analysierte Stück Literatur aus den 1890ern. In der Übersetzung von Claudia Rapp wird daraus „Die Schlinge wird enger“ – hier wurde endlich einmal nachgedacht. So gehört sich der Titel übersetzt.

Die Handlung ist nicht etwa spektakulär und einzigartig, soweit es Geistergeschichten betrifft; und trotzdem ist das hier James’ meistgelesene Erzählung. Spuk in Bly Manor ist die genialste Konstruktion einer Geistergeschichte in englischer Sprache. Die große Kraft der Novelle speist sich aus der Untersuchung eines komplexen Netzes aus Zweifeln, die im Hintergrund des Denkens der Hauptcharaktere lauern, und die in vielerlei Hinsicht die Vorbehalte spiegeln, die im Kopf eines Lesers von Geistergeschichten auftreten.