Seine Geistergeschichten veränderten das Genre wie ein galvanischer Schock. In seinem Universum - das ihn als erstklassigen Autor von Geistergeschichten berühmt gemacht hat - gibt es keine klaren Grenzen zwischen Gut und Böse, sondern einen Ort, in dem beide ineinander übergehen und sich vermischen, sich überschneiden und sich gegenseitig beeinflussen. Montague Rhodes James war zutiefst besorgt über die menschliche Korruption - sowohl in der Gesellschaft im Allgemeinen als auch in der Seele des Einzelnen - und dies kommt in seinen besten Geschichten auf erschreckende Weise zum Ausdruck. Die Besessenheit treibt seine Opfer dazu, sich von der Gesellschaft der Menschen zu entfernen und sich einem untoten, antiken Relikt oder Wissen zuzuwenden - einem Artefakt, das an einem windgepeitschten Strand gefunden wurde, einem Schatz, der in einem Klosterbrunnen versteckt ist, einem Buch mit einem geheimen Code, einem überwucherten Heckenlabyrinth mit einer düsteren Vergangenheit oder sogar einem gotischen Puppenhaus.
Robert Arthur - Glauben Sie an Gespenster?
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In der Sammlung "Das Buch der Geister & Spukhäuser" bei Festa erhältlich. |
Es ist nur eine kleine Geschichte in einem großen Buch. „Nichts Besonderes“, könnte man meinen, und gleich zur nächsten weiterziehen. Doch es lohnt sich, hier kurz innezuhalten und genauer hinzusehen. Robert Arthur war ein Schriftsteller, dessen Werke viele gelesen haben, ohne seinen Namen zu kennen. Während seiner Lebenszeit blieb das volle Ausmaß seiner Karriere weitgehend unsichtbar – insbesondere in Deutschland. Dort gab es lange Zeit nur einen schmalen Erzählband: Die Geister, die ich rief, der 1970 im Boje-Verlag erschien und 2024 von Kosmos neu aufgelegt wurde. Erst im März 2025 folgt ein zweiter Band – wohl ein Zeichen dafür, dass die moderne Literatur zunehmend an Reiz verliert und Leser sich mehr und mehr als Schatzgräber vergangener Meisterwerke versuchen.
Mord ohne Motiv in Edgar Allan Poes "Das verräterische Herz"
Die Geschichte "Das verräterische Herz" wurde erstmals 1843 im Pioneer, einem Bostoner Magazin, veröffentlicht.
Mord ohne Motiv
In dieser Erzählung finden sich alle Elemente der Schauerliteratur auf engstem Raum: das unterschwellige Geheimnis, das unheimliche Gebäude (hier wird ein ganzes Schloss in einen einzigen Raum verwandelt, wir haben das schreckliche Verbrechen und das Oszillieren zwischen dem Übernatürlichen und dem Psychologischen). Auf nur fünf Seiten scheint es, als habe Edgar Allan Poe den Schauerroman des achtzehnten Jahrhunderts zu einer Geschichte von nur wenigen tausend Wörtern verdichtet. Doch was macht diese Geschichte so beunruhigend? Eine genauere Analyse zeigt, dass sich "Das verräterische Herz" auf das Beunruhigendste überhaupt konzentriert: den Mord ohne Motiv.
Der Herzschlag eines Toten
Ein namenloser Erzähler gesteht, dass er einen alten Mann ermordet hat, offensichtlich wegen des "bösen Auges" des alten Mannes, das den Erzähler dazu brachte, ihn zu töten. Dann beschreibt er, wie er sich in das Schlafzimmer des schlafenden alten Mannes geschlichen, ihn erstochen, die Leiche weggeschleift und zerstückelt hat, um sein Verbrechen zu vertuschen. Er unternimmt einige Anstrengungen, um alle Spuren des Mordes zu verwischen - er fängt sogar das Blut seines Opfers in einer Wanne auf, damit nirgendwo Blut verspritzt wird -, dann nimmt er drei der Bodenbretter des Zimmers und versteckt die Leiche seines Opfers darunter. Kaum hat er die Leiche versteckt, klopft es an der Tür: Es ist die Polizei, die von einem Nachbarn gerufen wurde, der in der Nacht einen Schrei gehört hatte. Der Erzähler lässt die Polizisten herein, um das Haus zu durchsuchen, und erzählt ihnen die Lüge, der alte Mann sei auf dem Land. Er bleibt ruhig, während er sie herumführt, bis sie sich in den Raum setzen, unter dem die Leiche des Opfers versteckt ist. Der Erzähler und die Polizisten unterhalten sich, doch nach und nach hört der Erzähler ein Geräusch in seinen Ohren, das immer lauter und eindringlicher wird. Er glaubt, es sei der Herzschlag des Toten, der ihn von jenseits des Grabes aus verspottet. Irgendwann hält er es nicht mehr aus und fordert die Polizei auf, die Dielen herauszureißen, denn der Herzschlag des alten Mannes drängt ihn, sein Verbrechen zu gestehen.
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(c) theemptykissofdeath |
Der labile Erzähler
Der Erzähler von "Das verräterische Herz" ist eindeutig labil, wie das Ende der Geschichte zeigt, sein psychischer Zustand ist von Anfang an fragwürdig, wie die ruckartige Syntax seiner Erzählung vermuten lässt:
Henry James - Spuk in Bly Manor
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In der Sammlung "Das Buch der Geister & Spukhäuser" bei Festa erhältlich. |
Der etwas unglückliche Titel „Die Drehung der Schraube“ ist wahrscheinlich das umfassendste analysierte Stück Literatur aus den 1890ern. In der Übersetzung von Claudia Rapp wird daraus „Die Schlinge wird enger“ – hier wurde endlich einmal nachgedacht. So gehört sich der Titel übersetzt.
Die Handlung ist nicht etwa spektakulär und einzigartig, soweit es Geistergeschichten betrifft; und trotzdem ist das hier James’ meistgelesene Erzählung. Spuk in Bly Manor ist die genialste Konstruktion einer Geistergeschichte in englischer Sprache. Die große Kraft der Novelle speist sich aus der Untersuchung eines komplexen Netzes aus Zweifeln, die im Hintergrund des Denkens der Hauptcharaktere lauern, und die in vielerlei Hinsicht die Vorbehalte spiegeln, die im Kopf eines Lesers von Geistergeschichten auftreten.
MR James - Der Schatz des Abtes Thomas
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In der Sammlung „Das Buch der Geister & Spukhäuser“ bei Festa erhältlich. |
In M. R. James‘ literarischem Universum ist Latein die Sprache der Gelehrten – wer etwas auf sich hält, beherrscht sie fließend. Dies gilt nicht nur für James, sondern erinnert auch an Umberto Eco. Folgerichtig beginnt die Erzählung Der Schatz des Abtes Thomas mit einer umfangreichen lateinischen Passage, die der Antiquar und Gutsherr Mr. Somerton umgehend zu entschlüsseln versucht. Was er dabei entdeckt, ist ihm zunächst nicht völlig klar, doch die Hinweise locken ihn auf die Spur eines verborgenen Schatzes. Diese Schatzsuche führt ihn schließlich in eine ihm fremde Gegend, die den Leser nach und nach enthüllt wird.